Walter Schiff beschreibt in seinem Buch "Österreichs Agrarpolitik seit der Grundentlastung", Thübingen 1898, auf den Seiten 220 ff die , wie gegen Ende des 19. Jahrhunderts gemeinschaftliche Wald- und Weidegrundstücke bewirtschaftet wurden:
"Die meisten gemeinschaftlichen Wälder und sonstigen Gründe entbehren einer einheitlichen, planmäßigen Bewirtschaftung. Kulturverbesserungen, die eine Kapitalaufwendung in der Gegenwart für eine zukünftige Erhöhung des Ertrages erfordern, werden unterlassen. Die Nutzungen sind nicht geregelt. Der Maßstab des Haus- und Gutsbedarfes verleitet zu Verschwendung mit Produkten. Die Wälder werden verwüstet, der Kulturboden ausgesaugt, Weiden und Alpen mit Vieh überstellt, das dann naturgemäß nicht die nötige Nahrungsmenge vorfindet. Die Folge ist die Degenerierung der Rassen, der niedrige Stand der Viehzucht. Überdies ist ein Fortschritt von extensiven zu intensiveren Kulturen durch die auf dem Boden lastenden, wenigstens qualitativ bestimmten Nutzungsrechte verhindert. Die Gemeinweiden unterwerfen auch derzeit noch ein weites, unschätzbares Gebiet fruchtbaren Acker- und Wiesenlandes einer wenig ertragreichen Benutzung, welche wegen der Gemeinschaft nicht aufgegeben werden kann. Eine Entwicklung zu höherer Kultur ist daher beim Fortbestehen der Gemeinweide unmöglich. Wie mit den Gemeinweiden steht es auch mit den Waldgemeinschaften in den zahlreichen Fällen, wo es sich nicht um absoluten Waldboden handelt, sondern um solchen Grund, der mit Vorteil in Kultur genommen werden könnte. ...
Weit günstigere ökonomische Verhältnisse pflegen die Genossenschaftswälder aufzuweisen. Aber diese Form agrarischer Gemeinschaft ist in Österreich bisher nur sehr wenig entwickelt. .... Bei den bestehenden Waldgenossenschaften sind die Rechte und Pflichten der Mitglieder nur in oberflächlicher Weise geregelt. Die Statuten werden nicht befolgt. Die Genossenschaftsorgane verfügen weder über genügende Autorität noch über die erforderliche Unabhängigkeit, um eine rationelle Forstkultur, eine schonende Behandlung des Waldes und die Erfüllung der genossenschaftlichen Pflichten von Seiten der Einzelnen zu erzwingen. ...
Die nordtirolische Landwirtschaftsgesellschaft veranstaltete eine Umfrage über die Haltung und Pflege der im Lande befindlichen Alpen... Nach diesen Urteilen sind demnach die Privatalpen im Durchschnitt weit besser bewirtschaftet, als die in gemeinsamer Nutzung stehenden. ... Am ungünstigsten liegen die Verhältnisse dort, wo sich noch die alten großen Marken erhalten haben, die einer größeren Zahl von Gemeinden, vielleicht sogar denen eines ganzen Gerichtsbezirkes gemeinsam sind, und die von ihnen - sei es gleichzeitig, sei es im Turnus - benützt werden (sogenannte Gerichts- oder Wechselalpen)."
Derselbe auf den Seiten 232ff:
"Um auch für das Gemeinde- (Ortschafts-, Fraktions-)gut die Voraussetzungen für die Beseitigung der ungeregelten Nutzungen zu schaffen, müsste das nachgeholt werden, was bei Gelegenheit der neuen Gemeindegesetzgebung versäumt worden ist: die Feststellung der auf dem Gemeindegut haftenden gemeinschaftlichen Nutzungsrechte. Die Errichtung eines Katasters für das Gemeindegut wäre also nötig, die einmalige Aufnahme der bestehenden Gemeindeverfassungen in Bezug auf die Gemeindegutsnutzungen. Dabei wäre, im Sinne der Bestimmungen der Gemeindeordnung, in erster Linie die bei Erlass der Gemeindeordnung herrschende unangefochtene Übung zu konstatieren, wo eine solche aber nicht besteht, der etwa vorhandene Beschluss der Gemeindevertretung über die Nutzungen zu registrieren, eventuelle ein solcher zuerst zu provozieren. Damit würden für alle Zukunft die rechtlichen Verhältnisse am Gemeindegut klar gestellt, es wäre so für die Nutzungen Ähnliches erreicht, wie durch die Richtigstellung der Grundbücher für das Eigentum; denn es würden feste und klare Rechtssätze an die Stelle der unklaren und schwankenden Praxis treten; wie das Eigentum so würden auch die Nutzungen am Gemeindegut nicht mehr den Gegenstand des politischen Kampfes zwischen den verschiedenen sozialen Klassen in der Gemeinde bilden, und es wäre eine Grundlage für die spätere Regulierung oder Beseitigung der gemeinschaftlichen Nutzungen hergestellt. Natürlich dürfte die Erhebung und Entscheidung über den geltenden Rechtszustand nicht den meistens befangenen Gemeindeorganen überlassen bleiben, sondern sie müsste durch unabhängige Behörden erfolgen....
Dazu müsste ... eine genaue Feststellung des quantum [also des mengenmäßigen Ausmaßes], quale [also der Art], quando [der Zeiten] und ubi [des Ortes] der Nutzungen kommen. Insbesondere wären an die Stelle des dehnbaren Begriffes des Haus- und Gutsbedarfes ziffernmäßige oder in Quoten des Ertrages bestimmte Leistungen zu setzen. ...
Es müssten ferner geeignete Organe geschaffen werden, welchen die Bewirtschaftung der gemeinsamen Grundstücke mit Beruhigung anvertraut werden kann. Unabhängige Aufsichtspersonen wären anzustellen, welche im Stande sind, Übergriffen Einzelner energisch entgegen zu treten.
Es wäre nötig, dafür Vorsorge zu treffen, dass ziffernmäßig fixierte Bezüge bei Unzulänglichkeit des Grundstückes entsprechend herabgesetzt werden. Zur Erreichung dieses Zweckes würde es sich insbesondere empfehlen, die Anteilsrechte nicht durch absolute Zahlen, sondern durch Quoten am Ertrage auszudrücken. Es müsste ferner ... die Verfassung und Vorlegung von Wirtschaftsplänen gefordert werden....
In sehr vielen Fällen wird aber auch durch die Regulierung der agrarischen Gemeinschaften die Kulturschädlichkeit der letzteren nicht behoben, sondern es muss zu diesem Zwecke die vollständige Beseitigung der gemeinschaftlichen Nutzung vorgenommen werden.
Die Beseitigung der agrarischen Gemeinschaften kann entweder durch die Teilung des gemeinschaftlich genutzten Grundstückes unter die Genossen oder durch die Ablösung - sei es des Eigentums, sei es der Nutzungsrechte - bewirkt werden. ..."
Interessant scheinen auch die Überlegungen Schiffs zur sozialen Funktion der Allmende auf den Seiten 243f:
"... wurde [von der österreichischen Gesetzgebung] durchaus nichts dazu getan, um eine lebendige ununterbrochene Tradition in Bezug auf die Allmenden zu erhalten oder gar zu befestigen und die Verwaltung des Gemeinschaftsgutes in sozialer Richtung zu beeinflussen.
Im Gegenteil. Gerade die Gemeindeordnungen brachten höchst einschneidende Veränderungen des bisherigen Verhältnisses im antisozialen Sinne: die Beseitigung der bisher üblichen ausschließlichen oder höheren Beitragspflicht der Rustikalisten zu den Gemeindeausgaben bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung ihrer privilegierten Nutzungen. Auch wurden die alten Wirtschaftsgenossenschaften nicht zeitgemäß fortgebildet; ihrer frühere Organisation wurde zerstört und nichts an deren Stelle gesetzt. Durch mehr als ein Menschenalter blieb das Allmendegut dem Zufall, der Willkür, dem Eigennutze der Gemeindemitglieder überlassen. Weder der Staat noch das Land sorgten dafür, dass entsprechende, die unteren Bevölkerungsschichten berücksichtigende Gemeindestatuten, Wald-, Weide-, Alpsordnungen aufgestellt werden. In weitem Umfang konnte der Gemeindeausschuss über die Nutzungen am Gemeindegute entscheiden. Diese wurden der Siegespreis in dem Kampfe um die politische Macht in der Gemeinde, einem Kampfe, der schon von vorneherein durch die Bestimmungen der Gemeindewahlordnungen zu Gunsten der Besitzenden instruiert war. Denn das Wahlrecht für die Gemeindevertretung ist - von gewissen Qualifikationswählern abgesehen - denjenigen, die keine direkten Steuern zahlen, versagt. Überdies entscheidet auch innerhalb der der Wahlberechtigten infolge der Wahlkörper nicht die größere Zahl, sondern die größere direkte Steuerleistung der Wähler. Kein Wunder, dass unter solchen Umständen von einem genossenschaftlichen Geiste, von sozialen Gesichtspunkten in der Verwaltung des Gemeindegutes wenig zu spüren ist; und schwerlich dürfte sich in der nächsten Zukunft daran viel ändern."
Um die von Walter Schiff geschilderten Probleme der Bewirtschaftung gemeinschaftlicher Güter in den Griff zu bekommen, begann mit dem Gesetz vom 7. Juni 1883, RGBl. Nr. 94, betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte ein neuer Zweig der Gesetzgebung, nämlich die sogenannten Flurverfassungsgesetze, welche heute hinsichtlich der Grundsatzgesetzgebung in die Kompetenz des Bundes und hinsichtlich der Ausführungsgesetzgebung Ländersache sind.
Mit dem sogenannten Teilungs- und Regulierungslandesgesetz vom 19. Juni 1909, LGBl. Nr. 61 (TRLG 1909) wurde erstmals versucht, die oben geschilderten Probleme für das Land Tirol zu lösen.
Mit dem Flurverfassungslandesgesetz vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42 (FLG 1935) wurde dieses Gesetz ohne wesentliche inhaltliche Änderungen wieder verlautbart.
Aufgrund einer neuerlichen Erlassung des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes wurde sodann das Gesetz vom 16. Juni 1952, LGBl. Nr. 32 (FLG 1952), beschlossen, welches jedoch inhaltlich ebenfalls keine wesentliche Neuerungen enthielt.
Diese Gesetze folgten weitgehend den oben zitierten Vorschlägen Schiffs. Zur Verwaltung der gemeinschaftlichen Liegenschaften sollten sogenannte "Agrargemeinschaften" gebildet werden, denen sowohl die Gemeinde als Grundeigentümerin, als auch die Nutzungsberechtigten als Mitglieder angehören sollten. Soweit es das Gemeindegut betrifft, haben die Agrargemeinschaften nicht etwa schon seit unvordenklichen Zeiten existiert, sondern sind erst durch die Flurverfassungsgesetzgebung gebildet bzw. vorgesehen worden, um auf diese Weise eine Organisation zu schaffen, die vor allem in der Lage sein sollte, einer Überbeanspruchung und Verwüstung des Gemeindegutes Einhalt zu gebieten.
Die Rechte der Mitglieder, an den Nutzungen des gemeinschaftlichen Gutes teilzunehmen, wurden als "Anteilsrecht" bezeichnet.
Die Regulierung der Verwaltungsrechte sollte nur insofern stattfinden, als die Verwaltung solcher gemeinschaftlichen Grundstücke nicht schon durch die Gemeindeordnung oder andere das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt war, bzw. soweit eine Ergänzung der Vorschriften des Gemeinderechts für die angemessene Verwaltung bzw. für die Aufrechterhaltung der bisher üblichen ungeschmälerten ruhigen Nutzung notwendig erschien (§ 3 des TRLG 1909, § 81 Abs. 3 des FLG 1935 und § 81 Abs. 3 FLG 1952) .
Die Benützungsrechte sollten entweder
- durch Feststellung aliquoter Anteile , nach welcher die einzelnen Berechtigten die Gesamtnutzung unter sich zu teilen hatten, oder
- durch die Feststellung der einzelnen Benützungsrechte selbst nach Umfang, Ort und Art der Ausübung, sowie nach Zeit, Dauer und Maß des Genusses
"reguliert" werden.
Die Beschreibung der Anteilsrechte in Form von Bruchteilen an der Gesamtnutzung sollte verhindern, dass die Summe der einzelnen Rechte größer sein könnte, als die mögliche Gesamtnutzung. Wenn allerdings auch ein Gemeindegut auf eine solche Art reguliert wurde, änderte sich dadurch der Charakter der Nutzungsrechte, weil die ehemals durch die alte Übung und den Haus- und Gutsbedarf beschränkten Weide- und Holzbezugsrechte um die aliquote Beteiligung an anderen Nutzungen erweitert wurden, die jedoch der Gemeinde als Eigentümerin allein zugestanden wären (mehr ...).
Im Teilungs- und Regulierungslandesgesetzes und auch in den späteren Flurverfassungsgesetzen wurde übrigens sehr wohl erkannt, dass die Gemeinde aufgrund ihrer Sonderstellung als Grundeigentümerin im Falle einer Festsetzung der wechselseitigen Benützungsrechte in Form von Anteilen an der Gesamtnutzung mehr erhalten muss, als nur jenen Anteil, mit dem sie in der Vergangenheit an den Nutzungen beteiligt war. Deshalb wurde in § 70 des TRLG 1909 angeordnet, dass der Gemeinde - sofern nicht besondere Umstände ein anderes Verhältnis begründen - über die nach alter Übung bezogenen Nutzungen hinaus ein Anteilsrecht von 10 % gebührt. In § 62 des FLG 1935 wurde dieser Anteil auf 20 % hinaufgesetzt. Dabei blieb es dann auch im FLG 1952 (§ 62 in Verbindung mit § 51). Das hieß freilich keineswegs, dass sich der Gemeindeanteil auf diese Prozentsätze zu beschränken hatte. Maßgeblich wäre stets das Verhältnis zwischen den Nutzungen der berechtigten Gemeindebürger einerseits und dem der Gemeinde zustehenden "Überling" andererseits gewesen.
Anhand dieser Anteilsrechte konnte nun die Agrarbehörde - wenn eine Gemeinde oder die Mehrheit der Agrargemeinschaftsmitglieder dies beantragte, auch eine Teilung anordnen. In einem solchen Fall erhielten die Gemeinden einen Teil des Gemeinschaftsgebietes als unbelastetes Gemeindevermögen und die ehemaligen Nutzungsberechtigten den übrigen Grund entweder gemeinschaftlich oder ebenfalls aufgeteilt ins Einzeleigentum zuwiesen. Um solche Teilungen zu ermöglichen, war es natürlich nötig, dass die Anteile der einzelnen Berechtigten in Form von Bruchteilen an der Gesamtnutzung ausgedrückt wurden.
Erfolgte keine Teilung und änderte sich das Wertverhältnis zwischen den der Gemeinde zustehenden Rechten aus der Substanz des Gemeindegutes und den Nutzungsrechten der Gemeindebürger, hätte der Gemeindeanteil an die geänderten Verhältnisse angepasst werden müssen, was aber die Agrarbehörde praktisch nie getan hat.
Dass den Gemeinden das Eigentum am Gemeindegut weggenommen und dieses auf
Agrargemeinschaften übertragen werden sollte, wie die Tiroler Landesregierung
in den Erläuternden
Bemerkungen zur TFLG-Novelle, LGBl. Nr. 18/1984, später behauptet hat, war
in diesem Gesetz – außer für den Fall einer Teilung - nicht vorgesehen.