DR. ANDREAS BRUGGER, RECHTSANWALT
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Themen Gemeindegut

Inhalt
Der Fall Neustift
Unrecht entdeckt........
Anfänge der Besiedlung
Kampf um Wald + Weide
1847: Wald an Gemeinden
Nutzungsrechte
  -  im provGG 1849
  -  in GO 1866
  -  1866 bis heute
Flurverfassung seit 1883
Grundbuchsanlegung
Agrarbehörde
Gemeinden zu Regulierung
VfGH 1982
Reaktion auf VfSlg 9336
Resümee
Novellierungsmöglichkeiten

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 1. März 1982, G35/81,G36/81,G83/81,G84/81, VfSlg 9336:

Aufgrund der Beschwerden der Stadtgemeinden Feldkirch und Innsbruck leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 5.März 1981 Zl. B 472/78-28, B 57/79-17 und B 508/78-20 hinsichtlich jener Bestimmungen des Tiroler und Vorarlberger Flurverfassungsgesetzes und des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes ein, aufgrund welcher die Bestimmungen der (Bundes- und Landes-) Flurverfassungsgesetze auch auf das Gemeindegut anzuwenden waren.

Der im folgenden zu besprechenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ging eine Veröffentlichung von Univ. Prof. Dr. Siegbert Morscher in der Zeitschrift für Verwaltung, Jahrgang 1982, Heft 1, Seite 1 ff voraus. Darin hat der Verfasser unter anderem betont, dass die rechtshistorische Entwicklung des Gemeindegutes "durch juristische Kunstgriffe zum Teil absichtlich verdunkelt" worden sei. Die Meinung, das Eigentum der im Jahre 1949 existierenden Gemeinden bleibe im Eigentum der Bisherigen Gemeinde und die neuen politischen Gemeinden seien vom Gesetzgeber mit keinem Vermögen keinen Rechten sondern nur mit einem Übermaß an Pflichten ausgestattet worden, bezeichnete Univ. Prof. Dr. Morscher als "juristische Finte mediokrer Art" und als "einfältige Auffassung". Aufgezeigt wurde auch, dass es sich diese Auffassung im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht durchsetzen konnte, sondern dass im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angenommen wurde, dass die 1849 neu geregelten Gemeinden selbstverständlich Eigentümer ihres Eigentums geblieben sind. Dass in vielen Fällen die Nutzungsberechtigten schließlich das Eigentum am Gemeindegut erhielten, führte er auf "parteiisches und offenkundig krass rechtswidriges Vorgehen" zurück. 

Am 1. März 1982 hob der Verfassungsgerichtshof jene Bestimmungen des Tiroler Flurverfassungsgesetzes, des Vorarlberger Flurverfassungsgesetzes und auch des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes auf, die es ermöglichten, die Regelungen dieser Gesetze auch auf das Gemeindegut anzuwenden.

Diese Entscheidung stellte für das Gemeindegut die mit Abstand wichtigste Entscheidung überhaupt dar. In der Begründung dieser Entscheidung führte der Verfassungsgerichtshof - kurz zusammengefasst - folgendes aus:

"Das Gemeindegut ... ist ... nicht nur formell der Gemeinde zugeordnet, sondern auch in materieller Hinsicht Eigentum der Gemeinde und nur insofern beschränkt, als es mit bestimmten öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechten einiger oder aller Gemeindeglieder belastet ist, sodass die Substanz und also auch der Substanzwert und ein allfälliger Überschuss der Nutzungen der Gemeinde als solcher zugeordnet bleiben.

Die der Äußerung der Tiroler Landesregierung zugrundeliegende Ansicht, die Gemeinde fungiere ... gleichsam nur als Vertreter oder Treuhänder der Nutzungsberechtigten und diese - die Mitglieder der alten Realgemeinde oder die von ihnen gebildete Gemeinschaft - seien die wahren (materiellen) Eigentümer des Gemeindegutes, findet in der tatsächlichen Entwicklung des Gemeinderechts keine Stütze. ... Was ... zum Gemeindegut iS der nach dem Reichsgemeindegesetz 1862 erlassenen Gemeindeordnungen geworden ist, wurde damit ... wahres Eigentum der neuen (politischen) Gemeinde, die übrigens auch verschiedene Lasten übernommen hatte, von denen früher die Realgemeinde betroffen gewesen war.

[D]ie Summe der widmungsmäßigen (land- oder forstwirtschaftlichen) Nutzungen [schöpft] keineswegs immer den Wert der Substanz aus, sondern [bleibt] unter Umständen sogar sehr erheblich hinter diesem Wert zurück. ... [B]ei Außerachtlassung des Unterschiedes [geht] der Gemeinde ein wesentlicher Vermögenswert verloren.

Das Flurverfassungsrecht knüpft ... wohl formell an den Begriff des Gemeindegutes iS der Gemeindeordnungen an, der das Eigentum der Gemeinde voraussetzt. Indem es aber das Gemeindegut ohne Berücksichtigung dieses Umstandes in die Ordnung der Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken einbezieht, die zwangsläufig auf das Verhältnis der Nutzungen abstellt, vernachlässigt es den der Gemeinde zugeordneten Substanzwert. ...

Führt die Einbeziehung des Gemeindegutes in die Ordnung der
Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken aber tendenziell
dazu, dass die Gemeinde die Substanz des Gemeindegutes zur Gänze an
die Nutzungsberechtigten verliert, so bewirkt sie eine durch nichts
gerechtfertigte Bevorzugung der Nutzungsberechtigten gegenüber der
(auch) die übrigen Gemeindeangehörigen repräsentierenden Gemeinde.

Dem Einwand der Tiroler Landesregierung, die sachenrechtliche
Unterscheidung von Substanz und Nutzung sei dem Sachverhalt - nämlich
den gemeinschaftlichen Nutzungsverhältnissen nicht angemessen, ist
entgegenzuhalten, dass auch öffentlich-rechtliche Nutzungen bestimmter
Gemeindeangehöriger am Gemeindegut nicht Nutzungen an eigener Sache,
sondern solche an einer fremden
- der Gemeinde als juristisch
selbständigem Zusammenschluss aller Gemeindebürger gehörenden - Sache
sind.

Sofern die Tiroler Landesregierung mit ihrem Hinweis auf den Umstand,
dass es sich im Anlassfall nicht um Gemeindegut, sondern nur um
Fraktions- oder Ortschaftsgut handeln könne, eine Einschränkung der
Aufhebung auf die Worte "bzw. ehemalige Ortschafts- oder
Fraktionsgut" erwirken will, übersieht sie, dass das Gemeinderecht
seit der Einführung der Deutschen Gemeindeordnung mit 1. Oktober 1938
Ortschaften und Fraktionen innerhalb der Gemeinde nicht mehr kennt
und dass die Gemeinde Rechtsnachfolgerin dieser Einrichtungen ist
(Art. II §1 der Verordnung GBlÖ Nr. 408/1938; vgl. dazu
VfSlg. 4229/1962 und für Tirol z.B. das Erkenntnis des Obersten Agrarsenates
vom 2. März 1966, 43-OAS/66), weshalb die Erwähnung dieser Erscheinung
im Flurverfassungsrecht nur mehr erläuternden Charakter hat (den das
Beiwort "ehemalige ..." im TFlVG auch zum Ausdruck bringt) und mit
dem Begriff Gemeindegut in untrennbarem Zusammenhang steht."

 

Dieses Erkenntnis stellte daher auch für diejenigen Beamten, die sich bis dort in einem Irrtum befunden haben, folgendes klar:

(gesamtes Erkenntnis: VfSlg 9336).

Aufgrund der vom Verfassungsgerichtshof verfügten Aufhebung wesentlicher Bestimmungen des Tiroler Flurverfassungslandesgesetzes wurde dieses Erkenntnis bei der Tiroler Agrarbehörde mit Bestürzung (teils über den eigenen Irrtum, teils über den mit verfolgten politischen Zielen nicht übereinstimmenden Inhalt dieser Entscheidung) diskutiert.  Spätestens ab März 1982 konnte sich daher kein Beamter der Tiroler Agrarbehörde mehr hinsichtlich der vom Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fragen im Irrtum befinden.

 

Reaktion der Tiroler Landesregierung auf das Erkenntnis VfSlg 9336