(Diese Veröffentlichung erfolgt im Einvernehmen mit der Gemeinde Neustift und im Hinblick darauf, dass dieser Fall Vermögen der Allgemeinheit betrifft, und daher auch bereits umfangreich öffentlich diskutiert wurde, sowie im Hinblick darauf, dass der Tiroler Landtag bereits grundsätzlich die Notwendigkeit erkannt hat, dass auch der Landesgesetzgeber auf das in der Vergangenheit geschehene Unrecht reagiert).
Im März 2005 wurde ich von Herrn Mag. Peter Schönherr, Bürgermeister der Gemeinde Neustift im Stubaital, beauftragt, ihm über die Vorgänge anlässlich der Regulierung des Gemeindegutes Neustift zu berichten und zu prüfen, welche Rechte der Gemeinde hinsichtlich dieses Gemeindegutes zustünden.
Dabei stellte ich folgendes fest:
Bis zum 15. Juli 1964 war die Gemeinde Neustift im Grundbuch als Eigentümerin der Liegenschaften EZ 261 II, EZ 263 II und EZ 267 II, je KG Neustift, also von Liegenschaften, die Summe ein Ausmaß von 4.267 ha aufweisen, eingetragen (siehe B-Blatt der EZ 261 II, altes Grundbuch).
Aus der Grundbuchseintragung ergab sich, dass die Gemeinde Neustift ihr Eigentum an diesen drei Liegenschaften aufgrund eines Vergleichsprotokolles vom 30. Juni 1848 erworben hatte. Da die Urkunde verfacht, also bei Gericht hinterlegt worden war, nahm ich im Landesarchiv in diese Vergleichsurkunde Einsicht.
Daraus ergab sich, dass diese Liegenschaften im Jahr 1848 mit Brief und Siegel und mit Genehmigung des Finanzministeriums ins volle Eigentum der Gemeinde Neustift übertragen worden waren.
Auch anlässlich der Grundbuchsanlegung hat niemand das Eigentum der Gemeinde Neustift bestritten, obwohl das Protokoll von ca. 70 Personen, insbesondere von zahlreichen Weide- und Holzbezugsberechtigten unterschrieben worden war.
Nach dem Grundbuchsstand hätte die Gemeinde Neustift ihr Eigentum durch den Bescheid der Agrarbehörde vom 17.November 1961, Zahl IIIb1-1169/17, verloren. Aus diesem Bescheid ergab sich aber nur, dass festgestellt wurde, es handle sich bei den betreffenden Grundstücken um agrargemeinschaftliche Grundstücke. Das bedeutete jedoch nur, dass diese Liegenschaften unter anderem dazu bestimmt waren, von den Gemeindebürgern zum Holzbezug und zur Viehweide genutzt zu werden, sagte aber nichts darüber aus, in wessen Eigentum diese Liegenschaften standen.
Ich wusste, dass die Agrarbehörde nur dazu berechtigt waren, festzustellen, wem agrargemeinschaftliche Grundstücke gehören. Sie durften also nicht die bestehenden Eigentumsverhältnisse ändern. Auch die Agrarbehörde wusste das. Ich konnte mir also nicht erklären, wie es möglich war, dass die Agrarbehörde der Gemeinde Neustift das Eigentum an diesen Liegenschaften nehmen konnte.
Also nahm ich bei der Tiroler Landesregierung in den Akt IIb1-1169 Einsicht. Es handelte sich um den Akt mit dem die Agrargemeinschaft Neustift reguliert wurde. Dabei stellte ich folgendes fest:
Damit hat die Tiroler Landesregierung alle anderen rund (4330 Einwohner - 150 Agrargemeinschaftsmitglieder =) 4180 Neustifter Bürger aus diesem riesigen und wertvollen Gebiet ausgesperrt.
In der (nur eine halbe Seite langen) Begründung wurde behauptet, der Bescheid beinhalte ohnehin nichts anderes, als in diesem Verfahren schon bisher verfügt worden sei. Außerdem beruhe er auf einer Vereinbarung und könne daher nicht mehr angefochten werden.
Beides traf jedoch auf die verfügte Übertragung des Eigentums am Gemeindegut Neustift an die Agrargemeinschaft Neustift in keiner Weise zu:
Am 29.9.1964 hat jener Beamte der Agrarbehörde, der den folgenschweren Bescheid vom 30.4.1963 erlassen hat, diesen Bescheid im Rahmen einer Schilderung des Verfahrensablaufes als "Übertragung" des Eigentums an die Agrargemeinschaft Neustift bezeichnet. Als "Übertragung des Eigentums" wird aber nur ein Vorgang bezeichnet, bei dem der Eigentümer wechselt. Wenn daher der betreffende Beamte seinen Bescheid selbst als "Übertragung" des Eigentums an die Agrargemeinschaft bezeichnet hat, muss er daher auch selbst gewusst haben, dass er in seinem Bescheid keineswegs nur bestehende Eigentumsverhältnisse festgestellt, sondern diese entscheidend geändert hat (wozu er aber nicht berechtigt war).
Erwähnenswert scheint auch die Art und Weise, wie dieser Bescheid "zugestellt" worden war:
Während nämlich zum Beispiel sogar die Einladungen zur ersten Informationsveranstaltung und auch alle Verhandlungseinladungen und sogar die Einladungen zu den späteren Vollversammlungen der Agrargemeinschaft mit der Post jedem einzelnen Agrargemeinschaftsmitglied zugesandt wurden, hat die Agrarbehörde jenen Bescheid, mit dem der Gemeinde Neustift ihr Eigentum am Gemeindegut weggenommen werden sollte, nur beim Gemeindeamt hinterlegt und zwar als Teil eines aus 29 Seiten bestehenden Konvoluts. Anders als bei früheren und späteren - vergleichsweise viel unwichtigeren - Bescheiden wurde von der Auflage dieses (enorm wichtigen) Bescheides niemand verständigt. Lediglich auf der Gemeindetafel wurde eine Kundmachung angeschlagen, in der aber wohlweislich mit keinem Wort davon die Rede war, dass der Gemeinde auch das Eigentum am Gemeindegut genommen werden sollte. Zudem hat man dem damals amtierenden Bürgermeister der Gemeinde Neustift, Herrn Josef Pfurtscheller (der ja vielleicht den im Gemeindeamt hinterlegten Bescheide sehen hätte können, obwohl er in einem dicken Konvolut von anderen Papieren verborgen war) gesagt, ihn ginge die Regulierung des Gemeindegutes nichts an. Diese sei ausschließlich Sache des früheren Bürgermeisters Andrä Danler, der im Regulierungsverfahren zum alleinigen Vertreter der Gemeinde Neustift bestellt worden sei (Niederschrift vom 29.9.1964, Seite 3 Mitte). Andrä Danler hat aber diesen Bescheid nicht bekommen. Der betreffende Beamte hatte also offenbar kein Interesse daran, dass den Vertretern der Gemeinde bewusst wird, dass die Gemeinde durch den von ihm erlassenen Bescheid vom 30.4.1963 das Eigentum an ihrem Gemeindegut verliert bzw. verlieren soll.
Mit dieser Vorgangsweise hatte er auch Erfolg. Erst im Juli 1964 ahnten einige Vertreter der Gemeinde Neustift, was in etwa geschehen sein könnte, und baten die Agrarbehörde um die Beantwortung unklarer Fragen, so zum Beispiel, wer denn nun Anspruch auf den Erlös habe, wenn eine Bauparzelle verkauft werde, wem denn der Jagdpachtschilling zustehe etc (Amtsvermerk vom 31.7.1964).
Keine Rede auch davon, dass die Gemeinde Neustift ihr Gemeindegut freiwillig an die Bauern verschenkt hätte, wie Bauernbundobmann Steixner später in den Medien immer wieder behauptet hat. Der Gemeinderat war mit dieser Angelegenheit erst im Jahr 1964 befasst, als es längst zu spät war, als der Gemeinde schon längst nichts mehr gehören sollte. Damals fasste der Gemeinderat von Neustift den Beschluss (siehe Punkt 8 der Tagesordnung), dass der Grundbesitz und die ersessenen Rechte der Gemeinde Neustift im Stubaital durch das Regulierungsverfahren nicht geschmälert werden.
Dass der Gemeinde Neustift auch in der Agrargemeinschaft nicht einmal der gesetzliche Mindestanteil von 20 % zugesprochen wurde, soll nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.