DR. ANDREAS BRUGGER, RECHTSANWALT
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Themen Gemeindegut

Inhalt
Der Fall Neustift
Unrecht entdeckt........
Anfänge der Besiedlung
Kampf um Wald + Weide
1847: Wald an Gemeinden
Nutzungsrechte
  -  im provGG 1849
  -  in GO 1866
  -  1866 bis heute
Flurverfassung seit 1883
Grundbuchsanlegung
Agrarbehörde
Gemeinden zu Regulierung
VfGH 1982
Reaktion auf VfSlg 9336
Resümee
Novellierungsmöglichkeiten

Strafbarkeit von Fehlentscheidungen :

Es ist absolut unmöglich, Gesetze so zu formulieren, dass daraus immer eindeutige Schlussfolgerungen für den Einzelfall gezogen werden können. Dazu kommt, dass die Aufgabe des Rechtsanwenders häufig darin besteht, zwischen mehreren gegensätzlichen Werten die richtige Balance zu finden.

Es daher geradezu normal, dass mehrere Auslegungen der gesetzlichen Vorschriften möglich sind und dass demzufolge die Meinungen der mit der Sache befassten Juristen (Parteienvertreter einerseits und den verschiedenen Instanzen der Behörden und Gerichte andererseits) auseinander gehen. Daher kann einem Beamten oder Richter, wenn er in erster Instanz etwas anderes entschieden hat als eine höhere Instanz, normalerweise nicht der geringste Vorwurf gemacht werden. 

Völlig anders liegt die Sache aber natürlich dann, wenn eine Fehlentscheidung vorsätzlich getroffen wird:

§ 101 des österreichischen Strafgesetzes vom 27.5.1852, RGBl. Nr. 117, welches nach dem zweiten Weltkrieg in der 13.3.1938 geltenden Fassung wiederverlautbart und seither als Strafgesetz 1945 bezeichnet wurde - das heute geltende Strafgesetzbuch ist erst am 1. Jänner 1975 in Kraft getreten - definierte das Verbrechen des Amtsmissbrauches wie folgt:

"Jeder Staats- oder Gemeindebeamte, welcher in dem Amte, in dem er verpflichtet ist, von der ihm anvertrauten Gewalt, um jemandem, sei es der Staat, eine Gemeinde oder eine andere Person, einen Schaden zuzufügen, was immer für einen Missbrauch macht, begeht durch einen solchen Missbrauch ein Verbrechen, mag er sich durch Eigennutz oder sonst durch Leidenschaft oder Nebenabsicht dazu haben verleiten lassen".

Seit Österreich eine bundesstaatliche Verfassung hat, werden die  Staatsbeamten als Bundes- und Landesbeamte bezeichnet (vgl. Manz, Das österreichische Strafgesetz, Große Ausgabe, sechste Auflage, Wien 1969, Fußnote 1 zu § 101 StG). 

Ich habe bei Gericht immer wieder mit Eigentumsstreitigkeiten (Grenzstreitigkeiten, Ersitzungsprozesse) zu tun. Dabei geht es oft nur um Flächen von wenigen Quadratmetern. Trotzdem werden die für das Eigentum maßgeblichen Umstände in der Regel sehr gründlich und aufwändig erhoben. Meist werden stundenlang Gewährsleute über die Nutzungs- und Eigentumshandlungen in der Vergangenheit befragt. Es wird über Jahrzehnte zurück verfolgt, wer über die strittige Liegenschaft verfügt hat, und aufgrund welcher Umstände die eine oder andere Partei meinen durfte, das strittige Grundstück stehe in ihrem Eigentum. Ich halte es für absolut undenkbar, dass in einem gerichtlichen Verfahren die  Urkunden aus dem Jahre 1848, die Grundbuchsanlegung, die Eintragung im Grundbuch und vor allem die Tatsache, dass die betreffenden Liegenschaften mehr als 100 Jahre lang (nämlich von 1848 bis 1963) im Eigentum der Gemeinde gestanden sind, unbeachtet geblieben wären. Wenn jedoch ein Gericht wirklich der Überzeugung gewesen wäre, alle diese Akte wären null und nichtig, wären die Gründe für diese Ansicht ohne jeden Zweifel ausführlich dargelegt worden, wäre die Rechtsgeschichte aufgerollt und wären die maßgeblichen Gesetzesstellen ebenso zitiert worden, wie die zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen der Höchstgerichte und die dazu vertretenen Lehrmeinungen, schon gar, wenn es nicht nur um ein paar Quadratmeter sondern - wie in Neustift - um ein Gebiet von 4.267 ha(!) gegangen wäre. 

Die für einen Zivilprozess geltenden Verfahrensvorschriften unterscheiden sich zwar in mancherlei Hinsicht von jenen Vorschriften, die das Verwaltungsverfahren regeln. Die Verpflichtung zur sorgfältigen Erhebung der  Entscheidungsgrundlagen und zur fundierten Begründung der getroffenen Entscheidungen besteht jedoch für den Verwaltungsbeamten in gleicher Weise, wie für einen Richter. Hätte der Beamte die Entscheidung, mit der er der Gemeinde Neustift ihr Eigentum am Gemeindegut abgesprochen hat, so begründet, wie es 

zu erwarten gewesen wäre, wäre er zwangsläufig darauf gestoßen, dass die Wälder mit allerhöchster Entschließung vom 6.2.1847 den "Gemeinden als solchen" ins volle Eigentum übertragen wurden. Er wäre auf die Arbeit von Stefan Falser (Wald und Weide im tirolischen Grundbuch, Innsbruck 1932) gestoßen, der ausführlich darlegte, dass und weshalb das Gemeindegut im Eigentum der Gemeinde und nicht etwa in jenem der Nutzungsberechtigten steht. Er wäre auf die Gemeindeordnung des Jahres 1819 gestoßen, aus der sich (ebenso wie aus den §§ 27, 286, 288, 290, 337, 529, 559, 867, 1454, 1472 ABGB) zweifelsfrei ergibt, dass die politischen Gemeinden im Jahre 1847, als diesen ein Großteil der staatlichen Wälder ins Eigentum übertragen wurden, längst existierten. Er wäre auf das Buch Walter Schiffs, Österreichs Agrarpolitik seit der Grundentlastung, Thübingen 1898, gestoßen, der auch der Ansicht war, das Gemeindegut stehe im Eigentum der Gemeinde. Außerdem wäre zu erwarten gewesen, dass er sich mit den Entscheidungen des k.k. Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Dezember 1892, Ziffer 2849, des Obersten Gerichtshofes vom  26.7.1905, Nr. 12149, des Verfassungsgerichtshofes vom 17.03.1931, GZl. B41/30, VfSlg. 1383, des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. November 1954, Zl. 1194/54, veröffentlicht in VwSlg. Nr. 3560A und des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.1962, GZl. B282/61, VfSlg. 4229, auseinandersetzt, die alle das Eigentum der Gemeinden am Gemeindegut betont und bestätigt haben. Eine ordnungsgemäße Bescheidbegründung hätte sich auch und gerade mit den Argumenten auseinander setzen müssen, die nach Meinung der Behörde gegen die getroffene Entscheidung gesprochen hätten. Hätte die Tiroler Landesregierung ihren Bescheid vom 30.4.1963, mit dem sie der Gemeinde Neustift das Eigentum an ihrem Gemeindegut abgesprochen hat, in gesetzmäßig begründet, hätte die Gemeinde Neustift aus der Bescheidbegründung zumindest erfahren, dass es eine Reihe von Argumenten gegeben hätte, die für ihr Eigentum am Gemeindegut gesprochen hätten. Dann hätte sie  - von der mangelnden Zustellung einmal abgesehen - zumindest eine Chance gehabt, die Bedeutung und die Fragwürdigkeit des Bescheides vom 30.4.1963 zu begreifen und dagegen Berufung zu erheben.

Entscheiden Sie selbst: Kann es sein, dass jenem Beamten, der den Bescheid vom 30.4.1963 erlassen hat, nicht klar gewesen sein könnte, dass das Gemeindegut von Neustift nicht im Eigentum der Agrargemeinschaft sondern in jenem der Gemeinde gestanden ist?

Selbst wenn man aber unterstellen würde, der betreffende Beamte sei davon überzeugt gewesen, es wären die Bauern wahre Eigentümer des Gemeindegutes, und es hätte demzufolge die Gemeinde durch den Vergleich des Jahres 1848 - entgegen dem Wortlaut dieser Urkunde - kein Eigentum erworben und es sei daher auch die Grundbuchseintragung unrichtig und es wäre der Gemeinde demzufolge auch nicht zugestanden, die betreffenden Liegenschaften über  hundert Jahre lang zu verwalten und darüber zu verfügen und die Gemeinde hätte durch diese von ihr mehr als hundert Jahre ausgeübte Verwaltung und Verfügung auch keinerlei Rechte erworben, hätte er seine Überzeugung nicht in einer derart arglistigen Weise durchsetzen dürfen. Dann hätte er in einen Bescheid hineinschreiben müssen, weshalb ihn weder der Gesetzeswortlaut des Waldzuweisungspatentes noch die Gemeindeordnung des Jahres 1819 noch die gegenteiligen Entscheidungen der Höchstgerichte von seiner Überzeugung abbringen konnten, und diesen Bescheid in gleicher Weise zustellen müssen, wie alle anderen Bescheide dieses Verfahrens. Freilich wäre dann dieser Bescheid wohl kaum unbekämpft geblieben.

Im Ergebnis muss man daher sagen: So, wie der betreffende Beamte der Agrarbehörde im Fall Neustift vorgegangen ist, darf eine Verwaltungsbehörde nicht vorgehen. Das musste auch dem damals amtshandelnden Beamten absolut klar gewesen sein. Mit dieser Vorgangsweise hat der betreffende Beamte die ihm eingeräumte Gewalt, im Namen des Landes Tirol Entscheidungen zu treffen, vermutlich vorsätzlich dazu missbraucht, um ein enormes Vermögen der Allgemeinheit, deren Interessen er eigentlich zu vertreten gehabt hätte, zu entziehen um damit einen bestimmten Berufsstand bzw. eine besonders verlässliche Wählerschicht jener Partei, der er sich offensichtlich verbunden gefühlt hat, unrechtmäßig zu bereichern.

So etwas geht aber über den Rahmen einer bloßen Fehlentscheidung weit hinaus.