Natürlich war und ist es zulässig, im Regulierungsverfahren Vergleiche abzuschließen. Der Agrarbehörde war zum Beispiel in § 62 FLG 1952 sogar ausdrücklich aufgetragen, den Abschluss eines solchen anzustreben. In den Regulierungsverfahren wurden jedoch die Gemeindevertreter häufig zum Abschluss von Vereinbarungen gedrängt, in denen die Gemeinde ihr Eigentum am Gemeindegut aufgegeben bzw. sich mit einem Anteilsrecht am Gemeindegut zufrieden gegeben hat, welches unter dem gesetzlichen Mindestanteil von 20 % gelegen ist.
Der Abschluss solcher Vereinbarungen verstieß jedoch gegen zwingendes Recht. Die Aufgabe eines (unbestrittenen oder zweifelhaften) Rechts ist als Schenkung zu beurteilen (§ 1381 ABGB). Gemäß § 74 TGO 1949 war das Gemeindevermögen (zu dem gemäß § 73 Abs. 3 TGO 1949 auch das Gemeindegut gehörte) ungeschmälert zu erhalten. Überdies würde es gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, wenn Gemeindevermögen einigen wenigen Bürgern der Gemeinde überlassen (und demzufolge allen anderen unrechtmäßig entzogen) würde (VfSlg 9336/1982). Ein Gemeindevertreter durfte daher nichts verschenken. Tat er es doch, machte er sich - wenn ihm bewusst gewesen sein sollte, dass er Rechte aufgab, die eindeutig der Gemeinde zugestanden wären - wegen Untreue strafbar.
Aber auch diejenigen begehen eine Straftat, die dem unmittelbaren Täter behilflich sind (mittelbare Täter). Wenn also ein Gemeindevertreter einer Gemeinde dadurch einen Vermögensnachteil zufügte, dass er in einem Vergleich auf eindeutige Rechte der Gemeinde verzichtete, war auch der Beamte der Agrarbehörde, der diesen Vergleich zu Protokoll nahm und später in einen Bescheid übernahm, Mittäter im Sinne des Strafgesetzes, sofern er wusste, dass der Gemeinde jene Rechte zustünden, auf die der betreffende Gemeindevertreter verzichtete.
Hängt allerdings die Strafbarkeit eines Verhaltens davon ab, dass der Täter etwas bestimmtes weiß (in unserem Fall zum Beispiel davon, dass der Gemeindevertreter weiß, dass der Gemeinde mehr Rechte zustünden, als sich nach einem von ihm abgeschlossenen Vergleich bekommt), so kann es auch den Fall geben, dass der unmittelbare Täter sich nicht strafbar macht - weil ihm das für die Strafbarkeit vorausgesetzte Wissen fehlt - der Mittäter jedoch strafbar ist, weil er über das zur Strafbarkeit erforderliche Wissen verfügt und sich des unmittelbaren Täters als schuldloses Werkzeug bedient ( Rittler, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts erster Band, allgemeiner Teil, Seite 297).
Es gibt jedenfalls zahlreiche Gründe für den Verdacht, dass die Beamten der Agrarbehörde in der Regel wussten, welche Rechte die Gemeinden hatten. Jedenfalls war dem damaligen Leiter der Agrarbehörde I. Instanz klar, dass den Gemeinden mindestens ein 20%iger Anteil am Gemeindevermögen zustand (siehe dazu den Auszug aus dem im Bauernkalender 1966 veröffentlichten Manuskript eines Vortrages, den der damalige Leiter der Tiroler Agrarbehörde I. Instanz 1957 anlässlich einer Tagung der österreichischen Agrarbehördenleiter in Bregenz gehalten hat).
Wenn der Verhandlungsleiter der Agrarbehörde daran mitwirkte, dass ein Gemeindevertreter auf diesen gesetzlichen Mindestanteil verzichtete, und wenn dieser Beamte wusste, dass sich der Gemeindevertreter mit weniger zufrieden gab, als der von ihm vertretenen Gemeinde zugestanden wäre, machte er sich als Mittäter der Untreue strafbar, wobei bei ihm dieses Delikt natürlich in Konkurrenz mit jenem des Amtsmissbrauches stand. In dem Zusammenhang sei auch noch daran erinnert, dass noch in § 159. Zif. 1 der Tiroler Gemeindeordnung vom 10. Juli 1935 der Landesregierung ausdrücklich aufgetragen worden war, darüber zu wachen, dass der Gemeinde das Gemeindegut ungeschmälert erhalten bleibt.
Soweit ein Gemeindevertreter dadurch zum Abschluss eines Vergleiches bewogen worden sein sollte, dass ihm die Geschichte des Gemeindeguts wissentlich völlig falsch dargestellt wurde (vgl. dazu auch Univ. Prof. Dr. Siegbert Morscher, der in ZfV 1982, Seite 3, ausführt, zum Teil sei die rechtshistorische Entwicklung des Gemeindegutes durch juristische Kunstgriffe absichtlich verdunkelt worden), wäre auch Betrug im Sinne des Strafgesetzes vorgelegen.
Wie übel den Gemeinden bei solchen "Vergleichen" bisweilen mitgespielt wurde, lässt sich beispielsweise an dem zwischen der Stadtgemeinde Imst und der Agrargemeinschaft Oberstädter Melkalpe (angeblich abgeschlossenen) Vergleich zeigen:
Während den Bauern der ehemaligen Fraktion Imst-Oberstadt bis zur Revidierung des dort schon seit 1926 bestehenden Regulierungsplanes nur das aus dem Titel der Gemeindegutsnutzung entspringende Weiderecht am Gebiet der Oberstädter Melkalpe zustand, wäre ihnen nach dem Vergleich das Eigentum am größten Teil des Alpgebietes zugekommen. Auf den übrigen bis dorthin beweideten Flächen blieb das Weiderecht vollinhaltlich aufrecht. Die Stadtgemeinde Imst, welche bis dorthin immerhin grundbücherliche Eigentümerin des Gebietes war, erhielt nicht einmal ein wie immer geartetes Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft, übernahm aber trotzdem sogar noch die Verpflichtung, alle außerordentlichen Lasten des Alpgebietes zu tragen. Jedem dürfte klar gewesen sein, dass mit Abschluss einer solchen Vereinbarung die Interessen der Stadtgemeinde Imst massiv verletzt, die weideberechtigten Bauern hingegen ungerechtfertigt bereichert wurden.
Vergleichsprotokolle Imst mit Agrargemeinschaft Oberstädter Melkalpe